In meinem letzten Post hast du bereits die Grundlagen für das Lernverhalten deines Pferdes gelernt – wir sprachen über Versuch und Irrtum und darüber, dass du die richtige Reaktion deines Pferdes verstärken musst. Aber was genau ist denn nun eine Verstärkung? Ist es das gleiche wie eine Belohnung? Und was ist der Unterschied zwischen einer positiven und einer negativen Verstärkung?
In einem Seminar hatte ich mal eine Kundin, die mir erzählte, ihr Pferd kenne nur positive Verstärkung, denn negative Verstärkung wolle sie bei ihrem Pferd nicht anwenden, weil sie für ihr Pferd nichts Böses will. Das ist zwar löblich, aber hier zeigt sich das größte Missverständnis zu positiver und negativer Verstärkung – und es ist gar nicht so selten. Viele Pferdemenschen glauben, bei positiver Verstärkung werde das Pferd gelobt und bei negativer Verstärkung gestraft. Das ist schlichtweg falsch.
Das Allerwichtigste zu Beginn: Positive und negative Verstärkung sind KEINE Bewertung! Beides hat für das Pferd in deinem Training einen positiven Ausgang!
Nun aber einmal genauer: Positive Verstärkung bedeutet, dass du deinem Pferd nach der richtigen Reaktion auf einen Reiz etwas „hinzufügst“ (positiv bedeutet hier also +). Dazu direkt ein Beispiel, damit es verständlicher wird: Stell dir vor, du möchtest deinem Pferd beibringen, dass es das Vorderbein anhebt, wenn du dieses mit der Gerte berührst. Die Berührung mit der Gerte ist der Reiz. Folgt darauf die richtige Reaktion (dein Pferd scharrt vielleicht zuerst einmal mit dem angesprochenen Bein und sein Versuch geht in die richtige Richtung), könnte die positive Verstärkung darin liegen, dass du ihm ein Leckerlie gibst. Du könntest ihm auch ein Stimmlob geben oder es am Hals streicheln, wenn es das mag. Die positive Verstärkung liegt darin, dass du ihm etwas zusätzliches gibst, was sein Verhalten belohnt.
Nun gibt es aber ja auch noch die negative Verstärkung. Negativ bedeutet in dem Zusammenhang, dass du etwas von deinem Pferd wegnimmst – das beste Beispiel dafür ist immer Druck. Wenn dein Pferd die Reiterhilfen lernt, dann lernt es, auf Druck mit Bewegung zu reagieren. Völlig selbstverständlich setzten wir uns meistens auf unser Pferd und erwarten, dass unser Pferd auf den Schenkeldruck mit einer Vorwärtsbewegung reagiert. In der Regel belohnen wir dieses Verhalten ganz intuitiv mit negativer Verstärkung, indem wir den Druck nachlassen. Die negative Verstärkung besteht also in dem Wegnehmen von Schenkeldruck, was unser Pferd als Belohnung empfindet. Gleiches gilt beispielsweise, wenn auf eine annehmende Zügelhilfe eine nachgebende Zügelhilfe folgt. Die nachgebende Zügelhilfe nimmt den Druck aus dem Pferdemaul weg, die richtige Reaktion des Pferdes (im Genick nachgeben) wird negativ verstärkt.

Du siehst also: Das Pferd nur mit positiver Verstärkung auszubilden, wäre weder möglich, noch nötig, weil beides für das Pferd angenehm ist. Nun gibt es auch Situationen, in denen du dein Pferd unbewusst oder zumindest ohne es zu wollen positiv oder negativ verstärkst und so sein Verhalten „belohnst“. Eine Kundin von mir hat ein Pony, welches sich an der Longe manchmal losreißt. Als ich das erste Mal bei ihr war, erzählte sie mir, ihr Pony sei ein richtiges Mistv**h, denn es würde gnadenlos ausnutzen, wenn sie nicht aufpasse und sich dann hinterlistig losreißen und wegrennen, um sie zu ärgern. Was ist hier passiert?
Nun, zuerst weißt du natürlich aus diesem Post über die Theory of mind , dass ihr Pony sie nicht bewusst austricksen kann und Hinterlist eine rein menschliche Eigenschaft ist. Dennoch reißt sich ihr Pony ja gelegentlich von der Longe los, womit es seine Besitzerin in den Wahnsinn treibt. Auch hier wurde Verhalten positiv verstärkt und somit das Lernen des Ponys begünstigt. Auf Nachfrage erzählte die Besitzerin, dass sich das Pony, als es sich das erste Mal losgerissen hatte, vor einem lauten Auto erschrocken hat und zurück in den Stall rannte. Das Losreißen von der Longe bedeutete für das Pony also zuerst, aus der Situation mit dem Auto zu entkommen – das Auto war weg (negative Verstärkung – wegnehmen von einem Angstauslöser) und stattdessen war es im Stall (positive Verstärkung – hinzufügen von Sicherheit, Futter und Sozialkontakt). Die Reaktion des Ponys wurde also belohnt, ohne dass die Besitzerin das wollte oder beabsichtigt hat. Je öfter das Pony nun die Erfahrung macht, dass sich das Verhalten lohnt, desto mehr festigt sich das Verhalten – es wird gelernt. Dazu kannst du auch hier noch einmal die Lernkurve betrachten.
Wenn dir so etwas mit deinem Pferd oder Pony passiert, ist es also sehr wichtig, dass du dir dessen bewusst bist und dieses Verhalten so schnell wie möglich verhindern kannst, bevor es sich festigt. In dem hier beschriebenen Beispiel wäre es vielleicht gut gewesen, das Pony zuerst nur noch in einem gut eingezäunten Bereich zu longieren, bis das Losreißen für das Pony keine lohnende Option mehr ist. Hier wäre es auch eine Idee, das Longieren anfangs nur kurz zu halten und nach einer kurzen Sequenz zu beenden oder zu pausieren. Auch Pause ist eine für dein Pferd sehr wertvolle Belohnung! Strafe hingegen wäre keine sinnvolle Idee: Bis du wieder am Pferd dran bist, ist viel zu viel Zeit vergangen und dein Pferd würde deine Strafe gar nicht mehr mit seinem Losreißen in Verbindung bringen. Das Ergebnis wäre nur, dass du für dein Pferd nicht berechenbar bist, was ihm Angst macht.
Du siehst also, positive und negative Verstärkung sind Werkzeuge in deiner Arbeit mit dem Pferd. Ein Hammer ist nicht besser als ein Schraubenzieher, wenn es darum geht, eine Wand zu tapezieren. Sprich: Das Werkzeug muss immer zur Situation passen und bewusst gewählt werden.
Hast du Fragen zu positiver und negativer Verstärkung? Ich überlege auch, ma einen eigenen Post zu dem Thema Bestrafung zu machen (was in den meisten Fällen aus lerntheoretischer Sicht ziemlicher Unsinn ist) – was meinst du?
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