[…] seine Umwelt bestmöglich anzupassen und mit Veränderungen seiner Umwelt klarzukommen. Du hast nun hier schon gelesen, dass es dem Pferd nicht möglich ist, sich Zukunftsszenarien auszudenken und somit […]
Ich kann nicht oft genug betonen, dass die meisten Fehler und Missverständnisse zwischen Mensch und Pferd aus der Vermenschlichung des Pferdes entstehen. Vielleicht denkst du dir jetzt „Naja, mir ist schon klar, dass mein Pferd kein Mensch ist und daher ist das Problem der Vermenschlichung für mich nicht so relevant“ – ist das so? Hier mal ein paar Beispiele aus der tagtäglichen Praxis:
- Du führst dein Pferd von A nach B – eine Strecke, die ihr beide gut kennt. Plötzlich erschreckt sich dein Pferd vor einem Putzkasten / einer Tüte / einem anderen Pferd/ was auch immer und spult sich richtig auf. Eine Stallkollegin kommt vorbei und fragt, ob alles okay ist. Du antwortest etwas wie „Alles okay, der verarscht mich heute einfach, der kennt den Weg eigentlich in- und auswändig.“
- Du kommst nach einem langen Arbeits- oder Schultag in den Stall. Dein Pferd gähnt und du findest, es sieht lustlos und unmotiviert aus. Du denkst dir: “Ach, wenn du keine Lust hast, machen wir heute halt nichts, ist ja auch okay!“
- Dein Pferd ist relativ neu in einen Offenstall mit bestehender Herde gezogen. Du beobachtest, dass zwei Pferde dein Pferd immer wieder von der Heuraufe wegjagen. Du bist wütend auf diese zwei Pferde und hast Mitleid mit deinem Pferd, vielleicht legst du deinem Pferd sogar etwas Heu an eine andere Stelle.
- Du hast dein Pferd herausgeputzt, denn heute ist die erste Stunde mit dem neuen Trainer. Aber dein Pferd verhält sich völlig anders als sonst, ist widersetzlich und reagiert überhaupt nicht auf dich. Aus Wut wirst du vielleicht grob, nennst dein Pferd „zickig“ – der will dich heute richtig veräppeln!
Ich könnte diese Liste endlos weiterführen und vielleicht hast du dich auch schon einmal in einer dieser Situationen ertappt. Für uns Menschen ist es völlig normal, sich in ein anderes Lebewesen hineinzuversetzen, seine Gedanken und Absichten abzuwägen und selbst entsprechend zu handeln. Aufgrund unserer hoch entwickelten Intelligenz (ja, man glaubt es manchmal nicht ;-)!) sind wir dazu in der Lange – man nennt diese Fähigkeit die „Theory of mind“, uns geläufiger unter der sehr verwandten „Empathie“. Im Alter von 3-5 Jahren entwickelt der Mensch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Das hat einen großen Vorteil, denn es macht unser soziales Zusammenleben in der existierenden Form erst möglich. Autisten entwickeln diese Theory of mind oftmals nicht, weshalb sie oft Schwierigkeiten im gesellschaftlichen Zusammenleben haben. Die Theory of mind verschafft uns aber in der Zusammenarbeit mit dem Pferd ein immenses Problem, denn sie ist uns so geläufig, dass wir davon ausgehen, uns auch in das Pferd hineinversetzen zu können. Wir interpretieren unsere Gefühle und Bedürfnisse in die Handlungen des Pferdes hinein, was zu den oben angeführten Vermenschlichungen führt. Dass das Pferd aber andere Bedürfnisse hat als wir, habe ich hier bereits geschrieben. Was also tun?
Als Mensch bin ich kognitiv dem Pferd überlegen (ja, auch das möchte man manchmal nicht glauben!). Das bedeutet auch, dass ich als Mensch die Verantwortung trage, mein Denken und meine Handlungen denen des Pferdes anzupassen und nicht umgekehrt, denn dem Pferd ist es schlichtweg nicht möglich, sich an meine empathische Gedankenwelt anzupassen. Ich muss lernen, das Pferd in seinem Handeln so zu beurteilen, wie es seiner Natur am nächsten kommt.
Menschen können Handlungen im Voraus planen, sie gewichten verschiedene Zukunftsszenarien und spielen im Kopf unterschiedliche Folgen durch. Das machen sie für sich, aber auch für andere. Anhand von Erfahrungen überlegen wir uns ständig, wie unser Gegenüber denkt und fühlt. Wenn ein Kind hinfällt, wissen wir, dass es sich ziemlich sicher weh getan hat und Schmerzen hat, selbst wenn wir dieses Ergebnis nicht sehen. Das Pferd nimmt wahr, was genau JETZT passiert, es lebt sozusagen im Moment. Das Kind ist gefallen – Punkt. Natürlich kann es auch aufgrund von Erfahrungen bestimmte Erwartungen, wie eine Futtererwartung haben – wir sind hier aber im Thema Konditionierung, nicht in der Empathie oder Theory of mind. Das Pferd kann sich nicht in andere hineinFÜHLEN.
Konditionierung und Empathie werden in ihren Ergebnissen vom Menschen oft miteinander vertauscht und nicht selten höre ich „Aber mein Pferd ist da anders, der weiß wirklich, was ich wollte, denke, …“ oder „der ist anders, der ist wirklich clever und versucht dann wirklich, mich auszutricksen!“. Noch einmal: Empathie oder die Theory of mind sind die Fähigkeit, sich in das Denken, Fühlen und Handeln anderer hineinzuversetzen. Das ist notwendig, um andere absichtlich in die Irre zu führen, auszutricksen oder ähnliches. Es ist deinem Pferd NICHT möglich oder wie ich auch gerne sage: Hinterlist ist eine rein menschliche Eigenschaft ;-).
Was ist nun aber mit diesen „wirklich cleveren Pferden“ und denen „die aber so wirken, als könnten sie es doch!?“ Was ist mit den oben genannten Beispielen? Neben den Bedürfnissen des Pferdes hilft es sehr, sich mit dem Lernverhalten des Pferdes auseinanderzusetzen – ich werde dir dazu sicher noch einige Posts auf meinem Blog schreiben. Falls du aber zuvor schon etwas recherchieren magst, hier einige Schlagwörter: Konditionierung, Sensibilisierung, Habituation, positive und negative Verstärkung.
Zum Schluss noch etwas Wichtiges: Bei all der Dringlichkeit, mit der wir uns in das Pferd und seine Natur hineinversetzen müssen, um mit diesem fair umgehen zu können, gibt es natürlich auch Vermenschlichungen, die dem Menschen bewusst sind und einfach nur dem Spaß des Menschen dienen, dem Pferd aber nicht schaden. Ein Ponykind von mir brachte meinem Pony beispielsweise zu seinem Geburtstag einen Apfel und eine Möhre mit, welche sie extra hübsch aufgeschnitten hatte. Natürlich „freut“ sich das Pony über das Futter, auch wenn es keine Ahnung hat, dass es dieses nun bekam, weil es vor exakt 7 Jahren geboren wurde. Wer sich noch viel mehr freute, war das Kind. Ich finde, bei solchen Dingen kann man ein Auge zudrücken ;-).
Uff, das gibt einem ja ziemlich zu denken! Es gibt ja soo viele Situationen, in denen man sein Pferd vermenschlicht aber wie du schon sagst -manche sind vermutlich „nicht so schlimm“, andere führen zu großen Missverständnissen :-/. Danke für den Input, ich bin gespannt auf die nächsten Posts, das Thema ist echt spannend! Ich folge dir mal :-).
Liebe Grüße
Marie
Hallo Marie, danke dir für deinen Kommentar! Ich werde das Thema hier ganz sicher noch weiter vertiefen und es freut mich sehr, dass dir das hilft :-). Falls du Fragen hast,gerne immer her damit.
Ganz liebe Grüße
Michelle